Zwei Ansichten von Ramsbeck |
Geschichte |
Bilder aus dem alten Ramsbeck
Der Blick fälltlt auf den Mittelpunkt von Ramsbeck um das Jahr 1920: Die alten Bauernhöfe Heimes-Junkern, Besse-Tönn, Hengsbach-Schürs, Einhäuser-Kös, Gockeln und Köster-Auwern lagern sich breit im engen Valmetal und setzen mit Wohnhaus, Stallungen und Remisen deutliche Akzente gegenüber den dichtgedrängten Häuserreihen am rechten Bachufer. Fast bis zur Kammhöhe nach Berlar hin liegen am Hang die schmalen Streifen von Wiesen und Feldern.
Dieses Bild scheint sich auch durch einen Blick auf das Unterdorf zu bestätigen, wie es sich später, um 1930, dem Betrachter bot: Im Vordergrund „Heuböcke”, im Hintergrund die sommerlich-friedliche Kulisse von Fachwerkhäusern inmitten von Wiesen und Feldern, die bis weit ins Tal hinabreichen. Ein wenig verträumt das Ganze, einige Straßenpassanten, kein Auto oder Fuhrwerk weit und breit.
Und wie ungezwungen fügt sich die sonntägliche Ruhe auf Bessen Hof in diesen dörflichen Rahmen ein: die Familie des Landwirts sieht den Hühnern zu, die auf dem Steinpflaster vor der Diele Mahlzeit halten.
Eine bäuerliche Welt, die für das Dorf bestimmend schien, in der auch Schmückers Schmiede, die damals noch im Ortskern neben dem Pastorat lag, integriert war: Holzräder, Deichseln, Achsen und Eisenbeschläge für Pferdewagen umlagern den Schmiedeeingang bis an den Rand der Hauptstraße.
Selbst die gelegentlichen Hochwassereinbrüche, so zu Silvester 1925, wurden weniger als Katastrophe, eher als Abenteuer und interessante Ereignisse empfunden. Man stellt sich vor Hauseingängen, Treppen und Geländern in Positur, um sich fotografieren zu lassen. Schweinetröge und Besenstiele, zu Kähnen und Rudern verfremdet, laden zu nicht alltäglichen Fahrten auf der Dorfstraße ein.
Man schreibt das Jahr 1926/27. Im Treppenaufgang zu Junkern Wohnhaus stellen sich „König Bernhard Reke (Oberste)” und „Königin Gretchen Heimes” mit Gefolge dem Fotografen, rechts von ihnen sind die Schützen angetreten, im Sonntagsstaat, die mit Blumen geschmückten Flinten geschultert, Kinder mischen sich als Zaungäste in das etwas steife Zeremoniell.
Ramsbeck, ein Sauerländer Dorf unter anderen? Abseits liegende Provinz mit ihren selbstzufriedenen, auf den Bildern vielleicht ein wenig behäbig wirkenden Bewohnern? Dieses Dorfzentrum ist Mittelpunkt, Kern dörflichen Lebens.
Und was spielt sich „am Rande” am Dorfrand ab? Wie eine abgelegene Insel, außerhalb des Dorfes, wirken die etwas verschachtelten Reihenhäuser der Ziegelwiese, denen das Pochwerk vorgelagert ist, ähnlich die Kolonie-Ansiedlungen auf dem Werdern mit den Industrieanlagen im Hintergrund.
An den Hängen des Bastenberges, terrassenförmig abgestuft, die Geröll- und Abraumhalden der Gruben- und Hüttenwerke. Rauchende Schlote, Verladeeinrichtungen und Schienenstränge präsentieren sich auf Bildpostkarten als „Parthie aus Ramsbeck”.
Am Fuße des Dörnberges türmen sich die Gesteinsmassen vom Grubenabbau hoch auf und scheinen den Wald verdrängen zu wollen (s. 199). Eine Aufnahme aus dem Jahre 1900 zeigt, wie sich die Industrie in die Landschaft gefressen hat, ein großer Teil des Faulenberges wirkt wie kahl geschoren und ist ganz auf den Betrieb der „Zentrale” hin funktionalisiert.
Zwei Ansichten von Ramsbeck erweisen sich tatsächlich als zwei gänzlich voneinander unabhängige Welten, die gleichwohl diesem Ort sein besonderes Gepräge gegeben haben; sie bieten sich im übrigen auch von den umliegenden kleinen Dörfern: wie groß ist der Unterschied zwischen den Bergarbeiterkolonien Andreasberg und Heinrichsdorf auf der einen und Berlar und Wasserfall auf der anderen Seite.
Zeigt sich hier nicht allzu deutlich der Bruch in der Bevölkerungsstruktur Ramsbecks? Hier die bodenständige größeren und kleineren Landwirte, Gewerbetreibenden und Kaufleute, die etwa in der Dorfmitte angesiedelt sind, dort die von außen zugewanderten Gruben- und Industriearbeiter, die in einförmigen, niedrigen Reihenhäusern am Dorfrand leben, sozusagen ein Randdasein fristen. Hier die Geschlossenheit der bäuerlichen Welt, von Agrar- und Weidewirtschaft bestimmt, die sich abzukapseln scheint gegenüber den Randzonen dort mit den ansässigen „ärmeren Leuten” ohne Grund und Boden, ohne Besitz.
Es liegt auf der Hand, dass sich daraus zwangsläufig schwierige gesellschaftliche Integrationsprobleme innerhalb der so verschiedenartig zusammengesetzten Dorfbevölkerung ergeben mussten, die zudem durch die konfessionellen Unterschiede verstärkt wurden; die zugewanderten Bergarbeiter waren zumeist evangelisch und bildeten bald eine eigene Gemeinde. Eine besondere „Führungsschicht” setzte sich aus dem Kreis der Personen zusammen, die leitende Funktionen im Bergbau einnahmen, etwa Steiger, Ingenieure, Verwaltungsbeamte u. ä. Sie kamen ebenfalls von außen und verstanden sich offensichtlich als eigene gesellschaftliche Gruppe, die sich z. T. auch von der übrigen Bevölkerung abgrenzte.
Es wäre überhaupt einmal zu fragen, inwieweit der Bergbau und die durch ihn bedingten gesellschaftlichen Veränderungen von der ortsansässigen Kernbevölkerung bewusstseinsmäßig verarbeitet oder akzeptiert wurden. Wollte man nicht doch eher unter sich bleiben, indem man sich eine vermeintliche oder tatsächliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit vorspiegelte? Die Schwierigkeiten des dörflichen Zusammenlebens jedenfalls haben wohl in solchen geschichtlichen Entwicklungen ihre eigentliche Ursache.
Es ist ja kein Geheimnis: Auch in den näher oder weiter liegenden Dörfern sah (sieht?) man auf Ramsbeck oder Andreasberg immer ein wenig abschätzig, naserümpfend herab; man witterte hier wohl etwas Fremdartiges, Ungewohntes, wenn nicht gar Bedrohliches. Und gelegentlich vermitteln Reiseführer von Ramsbeck das Bild eines Goldgräbernestes, eines ehemaligen Eldorados für Abenteurer und windige Existenzen.
Dennoch: Wir sollten uns dieser ungewöhnlichen Vergangenheit unseres Dorfes stellen, ihre Spuren, soweit es noch möglich ist, bewahren, nicht zuletzt auch als Anziehungspunkt für Urlauber und Gäste, die mehr wünschen als den Rummel eines massenhaften Eintagstourismus.
Zwei Ansichten von Ramsbeck: Nicht nur auf vergilbten Postkarten und in Bildbänden, sonder hoffentlich auch als erfahrene und erlebte Realität, in der Geschichte und Gegenwart in Beziehung gesetzt werden, uns Aufschluss gebend über das wechselvolle und nicht immer leichte Schicksal in diesem Raum.
Friedrich Schroeder