Dezember 1978

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Januar 1979



Neubau des Kindergartens in Ramsbeck

Am 11. Dezember beschloss der Struktur- und Planungsausschuss der Gemeinde Bestwig, auf der sogenannten Bleiche in Ramsbeck einen neuen Kindergarten zu bauen. Das Grundstück liegt etwa gegenüber der Tankstelle Siebert am Mühlengraben. Da es um den Bau in der letzten Zeit ein wenig Gerangel gegeben hat, baten wir Herrn Günther Scheller, den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Gemeinderat, um eine Stellungsnahme.

Er hat uns eine chronologische Übersicht über die Bemühungen der Gemeinde Bestwig gegeben.

Erstmals wurde am 16. 3. 1978 im Jugend- und Sportausschuss darüber gesprochen, dass das Landesjugendamt in Münster die Verhältnisse im Ramsbecker Kindergarten beanstandet hatte. Eine Erweiterung des Kindergartens wurde aus Platzgründen ausgeschlossen, einstimmig wurde ein Neubau empfohlen. Die Angelegenheit wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen, damit Fragen des Grundstücks und der Finanzierung geklärt würden.

und Sportausschuss beschloss am 7. 9. die Planungsarbeiten zum Neubau und machte erste Finanzierungsvorschläge; bereits am 14. 9. beauftragte der Struktur- und Planungsausschuss den Hochsauerlandkreis, das gemeindeeigene Grundstück am IPA-Heim auf seine Tauglichkeit zu untersuchen. Nach weiteren Diskussionen beschloss der Jugend- und Sportausschuss einen Finanzierungsplan und machte Vorschläge für den Haushalt 1979:

Kosten voraussichtlich 700.000 DM, davon tragen das Land NRW 50 % - 350.000 DM, der HSK 25 % - 175.000 DM und die Gemeinde 25 % - 175.000 DM. Ein Teil der Kosten soll bereits in den Haushaltsplan 1979 eingesetzt werden. Die Gemeinde hofft, ihren Anteil aus dem Verkauf des alten Kindergartens zu decken.

Der Standort „Alte Bleiche” gehört der Gemeinde, die zuständigen Stellen erklärten ihn für städtebaulich sinnvoll, da er noch dem Innenbereich des Ortes zugerechnet werden könne. Argumente dazu:

1. Der Platz ist relativ ungefährlich fußläufig zu erreichen

2. Der Platz ist landschaftlich schön gelegen

3. Es ist Platz für große Spielflächen vorhanden

Wir meinen: Angesichts des Beschlusses, einen neuen Kindergarten zu bauen, erweisen sich die Aufregungen vergangener Tage als ein Sturm im Wasserglas. Wir sollten uns in Ramsbeck auf den neuen Kindergarten freuen, er ist ein weiteres Beispiel für die positive Entwicklung. Der Standort scheint annehmbar, man ist jedenfalls von der gefährlichen Kreisstraße weg. Für die Mitglieder des Kindergartenrates gilt es nun, Einfluss auf die bauliche Gestaltung zu nehmen.

En Musterstaat von August Beule

Ik stonk bey meynen Immen
Un kuckere neype tau,
Biu fleytig dat se draigten
Viel Hunig in den Bau.
Gar wundersame Ornunk
Kam mey do tau Gesicht,
Im Immenstaat deh jeder
Met Freuden seyne Pflicht.

Do kannte me kain Failsken
Um Wienkopp (Handgeld) un Verdraag,
Kain Drücken, Putsken, Straiken,
Ok kain`Achtstundendag.

Do drüngen Bolschwismus
Un Spartakus nit in:
Doch herrschet Kommunismus
Im echten - rechten - Sinn.

Dann, füär`t Gemainwual striäwen,
Macht` jeder sik taum Ziel,
Un jeder satt` füär`t Ganze
Seyn Liäwen oppet Spiel.

De Fiulhait ungerstützen,
Dat kümmet niemools vüär;
Unnütze Maitiggängers
Dai schmitt me vüär de Düär.

Parteienzank un Hader,
Dai wören unbekannt;
Met Ainigkeit genk Friede
Gemeinsam Hand in Hand.

De Obrigkait weert ehret
Bey düsem Volk der Tat;
Ik wöll,, ik wör auk Bürger
In sau me Musterstaat!

Vor 60 Jahren: Ende des 1. Weltkrieges, Ratlosigkeit und Angst vor der Zukunft

ZU AUGUST BEULES GEDICHT „EN MUSTERSTAAT”

Ein Riesenheer gefallener Soldaten, Hungersnot und Armut, Aufstand der Matrosen in Kiel und Ausbreitung der Revolution über die großen Industriestädte Deutschlands, Einleitung der Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Abdankung Kaiser Wilhelms II., der sich am 10. November 1918 ins Exil nach Holland begibt. Das sind einige Schlagzeilen, die das Ende des Ersten Weltkrieges beleuchten. Er setzte vielen Erwartungen und Hoffnungen ein erschreckendes Ende, er zerstörte aber wohl auch bei vielen Menschen die Illusion von der bewahrenden Ordnung des Kaiserreiches, die bislang vielen kaisertreuen Deutschen ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit gegeben hatte. Der Kaiser war nun nicht mehr da, die Staatsordnung war mit seinem Abgang zerbrochen. War ein Neuanfang möglich, oder drohten Spaltung und Chaos?

Diese bange Frage durchzieht auch August Beules Gedicht „En Musterstaat”, das zwischen 1918 und 1920 in Ramsbeck geschrieben wurde. Beule beobachtet hier mit Bewunderung die natürliche Ordnung im „Immenstaat”, wo „jeder met Freuden seyne Pflicht” tut; hier gibt es weder Bestechung noch unsaubere Verträge, „kain Drükken, Putsken, Straiken, ok kain Achtstundendag”. Dann heißt es weiter:

„Do drüngen Bolschewismus
Un Spartakus nit in;
Doch herrschet Kommunismus
Im echten - rechten - Sinn.”

Hier werden all die Erscheinungen genannt, die als Momente von Unruhe und Unordnung gebranntmarkt werden: Putsche, Streiks, Bolschewismus und Spartakus. Gemeint sind die revolutionären Putschversuche von rechts und von links ebenso., wie der seit der Oktoberrevolution 1917 in Russland zur Macht gekommene Bolschewismus.

Im selben Jahr hatte sich die linke „Unabhängige Sozialdemokratische Partei” von der SPD abgespalten, während der marxistische Spartakusbund sich kompromisslos eine revolutionäre Rätedemokratie als Ziel gesetzt hatte. Was Beule - mit Blick auf den „Immenstaat” - vermisst, ist das „Gemainwual”, für das offenbar niemand mehr „striäwen” will. „Un jeder satt` füar` t ganze seyn Liäwen oppet Spiel”. Dagegen stellt er „Parteizank un Hader” und lobt am Bienenstaat die „Ainigkeit” und den Frieden, die Hand in Hand gehen.

Zum Schluss sagt er dann:

„Der Obrigkeit weert ehret
Bey düsem Volk der Tat;
Ik wöll, ik wör auk Bürger
In sau me Musterstaat!”t

Den chaotischen Verhältnissen stellt er die naturhaft-organische Ordnung im Zusammenleben der Bienen gegenüber, die er sich auch für die politische Ordnung herbeiwünscht.

Kein Zweifel, hier werden Sehnsüchte laut, die damals unter vielen Menschen verbreitet waren. Hatten unter der „Obrigkeit” des Kaisers nicht Jahrzehnte Ruhe und Ordnung geherrscht? Gab es unter ihm Geldwertverluste? War es nicht eine goldene Zeit? Sorgte der Kaiser nicht für alles, wenn man sich ihm nur als treuer Untertan fügte? Kaiser und Vaterland gehörten zusammen, alles schien nach diesen Leitsternen ausgerichtet, nun waren sie erloschen.

Beule beschwört hier die heile Welt der Einigkeit und Ordnung, die freilich der Wirklichkeit rund um Ramsbeck schon während der Kaiserzeit auf erschreckende Weise widersprach. 1912 schilderte der damalige Pfarrer Meyer mit anschaulichen Worten die trostlose Lage der Ramsbecker Bergarbeiter und beklagt, „dass die große Mehrheit der Bergleute ihre Familien unversorgt und die Kinder unerzogen beim Tode zurücklässt. Die Bergarbeiterkolonie Andreasberg zählt bei 394 Einwohnern 43 Witwen von Bergarbeitern”.

Sodann erwähnt er die hohe Zahl von Abwanderungen und hält Abhilfe für dringend notwendig, „weil die hiesigen Bergbau-Aktiengesellschaft die Konkurrenzlosigkeit ausnutzt und ihren ansässigen Arbeitern einen Lohn zahlt, mit dem sie ihre Familie bei sparsamster Lebenslage nicht ernähren können”. Der Pfarrer hat errechnet, dass ein Bergmann jedes Kind mit 18 Pfennig täglich habe „ernähren” müssen.

Karl Marx, hätte er noch gelebt, wäre bei der Entwicklung seiner Revolutionstheorie in Ramsbeck mit reichhaltigem Material versorgt worden.... Entsprach also die einfache bäuerlich-naturhafte Welt in den Gedichten von August Beule der Ramsbecker Wirklichkeit? Die Frage beantwortet sich wohl von selbst.

Dennoch: Das Bewusstsein von einer verlorenen Ordnung, in der sich der Mensch zu Hause fühlen konnte, das Streben nach Einheit und klaren politischen Linien, wie sie die Demokratie dem irritierten Betrachter nicht bieten konnte, hatte zur Zeit der Weimarer Republik viele erfasst; alle materiellen Nöte und geistigen Verirrungen schob man allzu schnell allein auf das Konto des jungen demokratischen Staates ab. Es blieb dann den Nationalsozialisten überlassen, sich diese Sehnsüchte und Wünsche demagogisch zunutzte zu machen; wie man gesehen hat mit Erfolg. Der Text von August Beule ist sofern ein politisches Gedicht, ein Dokument seiner Zeit.

Friedrich Schroeder